Bludenz und die „Welschen“ (Borgoplatz)

Markus Pastella, 2011
Bludenz und die „Welschen“ (Borgoplatz)

Über die ethnische Zugehörigkeit der Menschen, die in prähistorischer Zeit den Raum Bludenz besiedelt haben, kann nur spekuliert werden. In den letzten Jahrhunderten vor Christi Geburt ist ein keltischer Einfluss bemerkbar. Die Römer schließlich, welche sämtliche in den Alpen beheimateten Völker einfach „Räter“ genannt haben, eroberten im Jahre 15 v. Chr. das Gebiet.

Somit wurde Bludenz Teil des Römischen Reichs und übernahm die Römische Zivilisation und Sprache (welsche Sitte und Sprache). Das daraus entstandene Rätoromanisch wurde bis zur Gründung der Stadt Bludenz im 13. Jahrhundert gesprochen, also weit über 1000 Jahre lang. Durch die Ansiedlung von Adeligen und Bürgern aus dem alemannischen Raum setzte sich schließlich in der Stadt die deutsche Sprache durch. In der Umgebung hielt sich jedoch noch lange das Rätoromanisch. Im 14. Jahrhundert warben die Grafen von Montfort und Werdenberg Bauern aus dem Wallis an, um die Täler urbar zu machen und zu kultivieren. Durch den deutschsprachigen Handels- und Marktplatz Bludenz und die einen Schweizer Dialekt sprechenden Walser setzte sich, zunächst über die Zweisprachigkeit, das Deutsche Idiom in der Herrschaft Bludenz durch. Im Montafon wurde noch bis zum Beginn der Neuzeit (16. Jahrhundert) teilweise Rätoromanisch gesprochen. Diese Sprache gehört wie das Italienische und Französische zu den neuromanischen Sprachen und wird jetzt noch in Graubünden und als Ladinisch im Südtirol und Friaul gesprochen. Heute noch ist in unserer Region dieser Lateinische Dialekt in vielen Berg- und Flurnamen erhalten: z. B. Biz Buin (Ochsenspitze), Schesaplana (flacher Fels), Montikel (kleiner Berg) usw. Die Bezeichnung Walgau für das Illtal ab Bludenz bedeutet soviel wie „Welschgau“. So nannten die Deutschsprachigen diesen noch „welschsprachigen“ Landesteil.

 

Der Habsburger Herzog Friedrich IV. mit der leeren Tasche (* 1382; + 24. Juni 1439 in Innsbruck), dem die Bludenzer trotz königlicher Ächtung die Treue hielten, war der Sohn der Mailänder Herzogstochter Viridis Visconti und von seiner Muttersprache (Sprache der Mutter) her ein „Welscher“. Somit (das nur nebenbei für Filmfreunde erwähnt) ist er auch ein früher Verwandter von dem adeligen Filmregisseur Lucchino Visconti. Dieser Herzog Friedrich hat im Jahre 1413 das Valsugana im Trentino erobert und zu einem Teil von Österreich Habsburg gemacht. Aus eben diesem Tal kamen, wie wir noch erfahren werden, im 19. Jahrhundert viele „Welsche“, die in Bludenz und Umgebung Arbeit fanden. Der übrige Teil des Fürstbistums Trient wurde nach dessen Auflösung im Jahre 1803 ebenfalls Teil des Habsburger Reiches und wurde schließlich 1815 beim Wiener Kongress Tirol zugeteilt.

 

Im 19. Jahrhundert machte die Industrialisierung (Textilindustrie) in Vorarlberg große Fortschritte. Ebenso wurde im Jahre 1872 die Vorarlberg Bahn bis Bludenz eröffnet und im Jahre 1884 schließlich auch die Arlberg Bahn mit dem Tunnel Richtung Tirol. Viele Arbeitskräfte wurden zum Bau der Eisenbahn benötigt und in dem industriell ins Hintertreffen geratenem Trentino oder Welschtirol auch gefunden. Speziell in den sehr ländlichen und kleinbäuerlichen Gebieten wie dem Valsugana lebten die Menschen in Armut. Als 1860 die Lombardei im Zuge des „Risorgimento“, der italienischen Wiedervereinigung Teil des Nationalstaates Italien wurde, fiel auch der größte Abnehmer der Seidenproduktion aus, da hohe Zölle eingeführt wurden. Deshalb nutzten viele „Welsche“ die Chance, in Übersee oder anderen fremden Ländern Arbeit zu finden. Viele fanden auch innerhalb der Grenzen der Österreich-Ungarischen Doppelmonarchie Arbeit. Sie kamen also mit Österreichischem Pass, ließen sich bei uns nieder und arbeiteten beim Bahnbau oder in der Textilindustrie – in Bludenz vorrangig bei der Firma Getzner Mutter und Cie., welche Arbeiter aus dem Welschtirol anwarb und ihnen teilweise sogar die Bahnfahrt bezahlte.

Das konservative „Vorarlberger Volksblatt“ war den Zuwanderern beim Bau der Vorarlbergbahn (1870-1872) noch wohlgesonnen:

„Man hat vielseitig mit einigem Bangen der Einwanderung dieser meist aus den untersten Volksschichten genommenen Arbeitern entgegen gesehen und besonders von den wälschen Elementen derselben für die Ruhe und Sicherheit einige Besorgnis getragen. Soweit aber unsere Kenntnis und Erfahrung reicht, mit Unrecht. Wir haben oft genug ihre Arbeitsamkeit, Redlichkeit, Sparsamkeit und Nüchternheit, sowie ihre Friedfertigkeit zu sehen Gelegenheit gehabt und nicht selten uns an deren Religiosität und erbaulichem Benehmen beim Kirchenbesuch (insofern er ihnen von Seite der Unternehmer ermöglicht wurde) erfreut.“

Doch schon beim Bau der Arlbergbahn (1880 – 1884) schlug die Stimmung gegenüber den italienischen Bauarbeitern merklich um. Nach Fertigstellung der Bahn 1885 lobte das „Vorarlberger Volksblatt“ die einheimische Bevölkerung, die sich „während dieser gefährlichen und kritischen Jahre ... fast gänzlich vom geselligen Verkehre mit der fremden Arbeiterschaft und vom Besuche der Baracken zurückhielt.“

Der Bludenzer Heimatschriftsteller Josef Wichner fand schließlich folgende Worte:

„Und die welschen schmutzigen Arbeiter selbst mit ihrer unverständlichen Sprache, ihrer verbrannten Haut, ihren rollenden Augen und ihren Flöhen und Wanzen, was waren sie anders als ein der Hölle entstiegenes Teufelsgesindel?“

 

Durch die Textilindustrie zogen im Gegensatz zur Bauindustrie auch massenhaft Mädchen und ganze Familien nach Bludenz, die hier sesshaft werden wollten.

Zur Jahrhundertwende stieg die Zahl der Trentiner auf 1.053, was ca. einem Fünftel der Stadtbevölkerung entsprach. Der Großteil der Einwanderer kam aus dem Valsugana. Keine andere Stadt in Vorarlberg wurde in solchem Ausmaß von den „Welschen“ geprägt wie Bludenz. Es entstand hier ein eigenes „welsches“ Viertel, dass auch spöttisch „Klein Venedig“ genannt wurde. Josef Wichner schreibt in seinem Buch „Im Schneckenhause“:

„Sie brachten welsche Sprache und welsche Sitte, welsche Unreinlichkeit und welsches Leben“. – Und sie siedelten dies alles im Herzen eines „seit Jahrhunderten deutschen Ländchens“ an.  Die christlich soziale Parteizeitung, das „Vorarlberger Volksblatt“ zeichnete in der Auseinandersetzung mit den Liberalen (oftmals protestantische Fabrikanten) einerseits und mit den Sozialdemokraten andererseits ein recht drastisches und düsteres Bild über die Auswirkungen der italienischen Zuwanderung. Sie sprachen von den „Sozialdemokraten mit ihrer wälschen Mannschaft“ oder „dass die Verwälschung der Stadt Bludenz riesige Fortschritte macht und diese Südländer ihrer Menge und Stärke sich bewusst sind, und weiters, dass der Großteil derselben der sozialdemokratischen Partei anhängt oder gar schon verschrieben ist.“

 

Am 3. Februar 1910 sprach der spätere Landeshauptmann Dr. Otto Ender vor der Generalversammlung des Christlichsozialen Volksvereins:

„Unsere nationale Frage im Lande hat zwei Seiten, die sprachliche und der Rassenumschwung. ... Wir wollen auch kein zweisprachiges Vorarlberg. ... Für die körperlichen und geistigen Eigenschaften ist es nicht gut, wenn Romanen und Germanen zusammenheiraten, die Nachkommen sind physisch und moralisch gefährdet.“ – Soweit die Aufzeichnung seiner Rede im „Vorarlberger Volksblatt“.

 

Nach dem 1. Weltkrieg und der Abtrennung von Südtirol und Trentino von Österreich kam die Einwanderung zum erliegen und manche kehrten in das jetzt Italien zugehörige Herkunftsland zurück.

 

Quellen: Reinhard Johler, Kurt Greussing

 

(Markus Pastella, 2011)

Bildnis des Herzogs Friedrich IV. von Tirol, Erzherzog von Österreich  Wien, um 1775?
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Arlberg Railway, Trisanna Viaduct and Castle Weisberg, Tyrol, Austro-Hungary. ca. 1895
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Die historische Region Tirol, sowie die heutige Europaregion Tirol-Südtirol/Alto Adige-Trentino (BlueMars)
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