Das Zürcherhaus

Markus Pastella, 2012
Brunnenfeld und Bings 1817

Das Haus ist uralt. Dem Vorübergehenden, der nur einen flüchtigen Blick darauf wirkt, entgeht dies. Vielleicht aber bemerkt er anschließend die dicke, alte Gartenmauer, aus der sich ein Bildstöcklein erhebt. „BIS HIERHER UND NICHT WEITER, KAMEN DIE SCHWEDISCHEN REITER“ stand früher darauf geschrieben. Furcht vor Verwüstung, Vernichtung, Mord, Pestilenz, Tod, Schändung, Plünderung und weiterem unsäglichem Leid des Dreißigjährigen Krieges standen Pate für seine Errichtung.

Die Reiter, vielleicht des Mordens und Zerstörens schon etwas müde, verschonten Bludenz und somit auch Brunnenfeld gegen eine hohe Brandschatzungssumme. Der damalige Hausherr und seine Gemahlin bedankten sich beim Schöpfer und stifteten den Bildstock. Eine berührend friedliche Darstellung der heiligen Familie im Stall zu Bethlehem ist auf dem Barockbild zu sehen, welches sich jetzt im Haus befindet, weil es in seinem Alter schon selber Schutz benötigt - Gott sei Dank derzeit nicht vom Krieg, aber doch vor den Zähnen der Witterung. An den beiden unteren Ecken des Gemäldes kniet fromm das Stifterpaar. „BIS HIERHER UND NICHT WEITER, KAMEN DIE SCHWEDISCHEN REITER“ und auch der „Klushund“ kam bis hierher, als das Volk noch glaubte was es sah, in dunkler Nacht. Sie hörten sein Keuchen und Fauchen in windiger Dunkelheit und schließlich sogar seine stampfenden Schritte. „Der feige Hund, der Verräter“, so will es die Sage, hat den Schweden das Eindringen durch die „Klus“, die Bregenzer Klause bei Lochau ermöglicht und sich bereichert. Zur Strafe muss er jede Nacht so weit durchs Land rennen, wie die Schweden durch seine Hilfe kamen. Wie Schatten der griechischen Unterwelt verblasste seine Gestalt mit der Zeit, so wie auch die Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg. Die elektrische Straßenbeleuchtung erlöste ihn dann endgültig von seinem Elend.

 

Das Haus jedoch ist mehr als doppelt so alt wie der Bildstock. Gebaut wurde es in jener Zeit, als die Werdenberger Bludenz zur Stadt machten. Hausherren waren Vasallen dieses Adelsgeschlechts, nämlich die Ritter von Brunnenfeld. Die Seele eines Hauses sind seine Bewohner. Somit war die erste Seele eine ritterliche. Als diese Ritter vor etwa fünfhundert Jahren ausstarben, bekam das Haus eine patrizische Seele. Die „Zürcher“, benannt nach ihrer Herkunft, waren ein reiches Bürgergeschlecht in Bludenz und hatte über lange Zeit viel Macht über die Stadt und das Haus trägt heute noch deren Namen.

 

Das Zürcherhaus hat dicke Mauern wie eine Burg. Wer an einem heißen Sommertag über die Haustürschwelle eindringt, wird von der kühlen Aura der verputzten Steinmauern angenehm erfrischt. Der Boden ist gepflastert und längs durch das Haus führt ein Gang mit einem Tonnengewölbe, das dem Anschein nach organisch gewachsen und nicht gebaut ist. Zu beiden Seiten dieser Mundhöhle gibt es Türen. Sie führen in verschiedene Räume und Kammern, aber auch in tiefe Keller. Diese Unterwelt zergliedert sich in verschiedene Ebenen und alle sind sie überwölbt. Beim Tiefergehen hofft man, nicht in den griechischen Hades oder in Dantes Inferno zu geraten. Zwei Treppengänge führen nach oben. Links, am Ende des Ganges wendelt sich steil und gefährlich eine gotische Treppe nach oben. Als die Leute des Mittelalters überdrüssig waren, wurde eine neue gebaut, weniger steil, bequemer und sicherer. Für alle Fälle wird sie auch noch von einem  bemalten, gipsernen Christus mit gütigem Antlitz bewacht, der auf einem Mauersims links über der Treppe steht. Am Ende des engen Aufgangs öffnet sich ein verblüffend breiter Gang. Auf seiner linken Seite bemerkt man eine alte Türe aus dunklem Hartholz, deren Schwelle sich über zwei abgetretenen Stufen befindet. Gleich anschließend ist eine Ofentüre zu sehen, um den Kachelofen im dahinter liegenden Raum zu beheizen. Die Größe dieses Saales sowie seine altehrwürdige, etwas provinzielle Vornehmheit vermittelt den Anschein, dass hier früher ritterliche, später bürgerliche Zusammenkünfte stattfanden. Der Raum wird durch die straßenseitigen Fenster hell erleuchtet und die hölzerne Kassettendecke wurde in neuerer Zeit weiß getüncht, vielleicht um die düstere, etwas drückende Ernsthaftigkeit zu vertreiben.

 

Doch nicht nur die repräsentative Wirkung dieser Stube lässt auf die geschichtliche Bedeutung des Hauses schließen. Es gibt auch noch eine Überlieferung über einen geheimen Stollen, der nach Bürs zur heute Rosenegg genannten Festung führt. Solche Geschichten sind in unserem Land verbreitet, betreffen aber nur Burgen und Herrschaftshäuser. Diese Tunnel aber sind so geheim, dass noch nie einer gefunden wurde. Ein Nebenraum der vorher erwähnten Stube bietet jedoch eine Überraschung. Dort befindet sich eine geheime Falltüre. Beim Öffnen derselben wird im Halbdunkel eine Treppe sichtbar, welche nach unten führt. Wenn sich die Augen an das spärliche Licht gewöhnt haben, erscheine am Ende der Stiege, nach nur wenigen Metern ein kleiner Raum. Diese Kammer liegt noch etwas höher als das Erdgeschoss. Die menschliche Phantasie mag sich viele Erklärungen über Sinn und Zweck dieser Krypta ausmalen. Die wahre Bestimmung bleibt jedoch verborgen. Hier gleicht das Haus einem Wesen mit seinen Geheimnissen und Schattenseiten. Unser Wissen über die ausgedehnte Vergangenheit des Gebäudes ist sehr bescheiden.

 

Bei der Rückkehr aus der Stube in den breiten Gang sind auf der gegenüberliegenden Seite vier Türen zu sehen, von denen die erste von links in ein Wasserclosett, ein so genanntes WC führt. Ein „stinknormales“ Klo, wie es in der zivilisierten Welt überall anzutreffen ist. Dennoch sollte bedacht werden, dass das Zürcherhaus, wie im Mittelalter üblich, ohne Abort gebaut wurde. Die Leute gingen in die freie Natur oder benutzten einen Topf, den sie, nachdem sie denselben gefüllt indem sie den Darm und die Blase entleert hatten, kurzerhand aus dem Fenster schütteten. Mitunter konnte dabei, hoffentlich nur unabsichtlich, auch einmal ein Passant getroffen werden. Aber das Mittelalter hatte halt auch seine Tücken. Heute ist so was nicht mehr vorstellbar. Dafür kann man mitunter in einer Tageszeitung von einem großen Eisblock lesen, der vom Himmel viel. Angeblich entstammt dieser dann einem Flugzeug WC und besteht aus gefrorenem Allerlei, welches Dank der Tiefkühlung keinen Geruch verbreitet, dafür aber eine gefährliche Bombe ist.

Im hölzernen Anbau des Zürcherhauses befindet sich noch ein so genanntes Plumpsclosett. Die diskrete Abkürzung PC würde zur Verwechslung mit einem modernen Elektronengehirn führen. Im Gegensatz zu unserem WC besaß es nur eine Luftspülung. Der zukünftige Dünger wurde von der Schwerkraft durch den luftigen Schacht in die Jauchegrube, heimisch als Bschüttikaschta bezeichnet, hinab gesogen.

 

Der Weg in den zweiten Stock führt über eine Holztreppe. Links über dieser Stiege hebt sich das  Barockbild vom Bildstöckchen wirkungsvoll von der weißen Wand ab. Es ist jetzt an der Zeit, dass ich mich persönlich an den Leser dieser Zeilen wende. Damit in meinem Text keine Unwahrheiten über die Geschichte des Hauses verbreitet werden, muss ich gestehen, dass mich kürzlich ein renomierter Bludenzer Historiker darüber aufgeklärt hat, dass dieses Gemälde schon VOR dem Schwedeneinfall fertiggestellt wurde. Dennoch möchte ich nichts an der Einleitung des Textes ändern, die ja ohnehin ein Konglomerat mit Sagen und Legenden bildet.  BIS HIERHER UND NICHT WEITER, KAMEN DIE SCHWEDISCHEN REITER!

 

 

 

 

Brunnenfeld
Brunnenfeld